DIE UNABHÄNGIGE FACHZEITSCHRIFT FÜR HOCHZEITSMODE

Trendwatcher David Shah: “Agieren Sie wie ein Personal Stylist!”

Wie werden Brautpaare in Zukunft feiern? Welche Werte haben Sie? Was treibt die Generation Z an? Ein Gespräch mit David Shah, der die Textilwirtschaft aus einem internationalen Blickwinkel betrachtet.

David Shah nennt sich schlicht „Beobachter“. Wir trafen ihn auf der Modefabriek in Amsterdam, einer großen Einkaufsmesse für DOB. Dort wurde er als einer der „Superstars der Trendwatcher“ vorgestellt. Im Interview relativiert er. „Das Wort Trend hat sich erübrigt., es ist kein gutes Wort mehr. Ich bin kein Guru, sondern äußerst bodenständig. Aber ich beobachte und lese viel, um die großen Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen.“ Der quirlige Engländer, den wir später zu einem ausführlichen Interview erreichen, nimmt uns mit in eine Welt der Zukunft. Wir sprechen über Nachhaltigkeit und die Wünsche der Generation Z.

Sie bezeichnen sich als Beobachter, nicht als Trendwatcher. Wie bereiten Sie sich auf Vorträge oder Reports vor? Wie erkennen Sie Entwicklungen?

„Ich entwerfe selbst Kleidung, darum weiß ich genau: Bei Fashion-Forecasts geht es nicht nur ums Reden, sondern auch ums Produzieren und Umsetzen. Ich beobachte die Entwicklung des Zeitgeists so gut ich kann und lese zusätzlich Medien aus der Finanzwelt. Sehr interessant sind für meine Arbeit auch Anzeigen, die große Agenturen oder Luxusmarken erstellen, denn diese werden von einigen der besten Denker und Analysten erstellt.“

Sehen Sie auch Trends, die sich wiederholen?

„Natürlich! Wir erleben ständig zyklische Entwicklungen. Gefühle werden wiederentdeckt, Farben sind mal hot, mal weniger, Das Wichtigste: Diese Zyklen beschleunigen sich zusehends – eine Entwicklung, die wir nach Corona in vielen Bereichen sehen“.

Was bedeutet das für den Hochzeitsmodenmarkt?

„Wir leben in einer klar polarisierten Situation. Ich spreche sogar von Dichotomie. Alle Entwicklungen haben sich extrem beschleunigt. Das sehen wir vor allem an der Generation Z, das sind diejenigen, die zwischen 1997 und 2012 geboren sind. Sie hinterfragen alte Strukturen und althergebrachte Traditionen. Und darauf muss sich der Hochzeitsmodeneinzelhandel einstellen. Ich lebe in den Niederlanden und meine Frau ist Süditalienerin – die Hochzeitstraditionen könnten nicht unterschiedlicher sein. In Campania zum Beispiel sind Hochzeiten mit 300 bis 400 Gästen üblich. In den Niederlanden sehen Paare keine Notwendigkeit zur Heirat. Und wenn sie denn heiraten, tendieren sie dazu, es bei kleineren Feiern oder Hochzeiten an besonderen Orten zu belassen.”

Wie sehen dann zukünftige Hochzeiten aus?

„Ich gehe davon aus, dass etwa zehn bis 15 % der Gen Z entweder gar nicht mehr heiraten wird oder aber komplett andere Regeln aufstellt. Ich sehe es bei meinen Töchtern: Eine hat in Weiß in der Karibik geheiratet, die andere in London in strahlendem Rot. Diese Generation macht einfach ihr Ding.”

Welche Rolle spielt der sozio-ökonomische Faktor bei zukünftigen Hochzeiten?

„Geld spielt eine entscheidende Rolle. Menschen müssen sparen – wenn man sich noch nicht einmal eine Wohnung leisten kann, warum sollte man dann für eine Hochzeitsfeier bezahlen? Brautpaare heiraten heute nicht mehr, um den Erwartungen von Familie und Umfeld gerecht zu werden!“

Wie wird denn gefeiert?

„Die Location und die Dekoration sind das Wichtigste – sie sollten die Gäste überraschen und sie zum Staunen bringen. Nehmen Sie zum Beispiel den neuesten Trend des Wedding Cake Smashings. Meiner Meinung nach wird die Inszenierung in Zukunft wichtiger sein als das Hochzeitskleid selbst. So viele alte Traditionen wurden über Bord geworfen. Denken Sie an Hochzeitsgeschenke – bitte Geld, keine Handtücher und Geschirr! Hochzeitspaare streben nicht mehr nach dem Ideal der ‚Kelloggs Cornflakes-Familie’ – so nenne ich traditionelle Familienstrukturen mit einem Reihenhaus, einer Hypothek, zwei Kindern und einem Labrador-Hund – sondern sie suchen nach ihren eigenen Maßstäben und Lebensidealen. Denken Sie auch daran, dass man sich in einigen Ländern mittlerweile über das Internet trauen lassen oder seinen eigenen Zeremonienmeister wählen kann.”

Gilt das für einen Großteil der Hochzeitspaare?

„Natürlich gilt das nicht für jedermann. Wir sprechen als Trendobserver vor allem über das, was kommt. Aber in den urbanen, zeitgenössischen Communities werden die Hochzeitszahlen sinken. Nicht umsonst habe ich anfangs von Polarisierungen in der Gesellschaft gesprochen. Denn auf der anderen Seite haben wir viele Familien mit Migrationshintergrund. Für diese ist die Hochzeit – sei es eine freie oder standesamtliche Trauung oder eine religiöse Zeremonie – nach wie vor extrem wichtig. Aber es gibt auch andere Faktoren, die eine Rolle spielen: Millennials und Gen Z fürchten sich vor der Zukunft: Der Klimawandel ist eine große Sorge. Dies ist einer der Hauptgründe, warum viele junge Menschen sich bewusst dafür entscheiden, keine Kinder zu haben. In was für einer dystopischen Welt würden diese aufwachsen? Die Kosten für die Erziehung von Kindern – insbesondere, wenn private Bildung involviert ist – und der schlichte Wunsch, ihr Leben ungehindert zu leben, sind andere Überlegungen. Sich gegen Kinder zu entscheiden, wird nicht mehr als außergewöhnlich und untypisch angesehen. Ein weiterer Faktor ist, dass viele junge Menschen das Wort ‚Familie‘ nicht als eine Frage von ‚blutsverwandt‘ betrachten. Es kann eine Verbindung von engen Freunden sein, Gleichgesinnten, sogar mit ihrer Katze oder ihrem Hund!”

Wie können sich Brautmodenfachgeschäfte darauf einstellen?

„Sie müssen sich an die neuen gesellschaftlichen Werte anpassen. Die heutige Generation ist gestresst, sie erleben zu viel Lärm und haben zu wenig Zeit. Eine Bridal Stylistin sollte Ruhe vermitteln und einfache Antworten auf komplexe Fragen finden. Sie sollten wie eine gute Freundin agieren, sehr emotional und empathisch. Im Focus sollte nicht das Produkt stehen, sondern das Wohlfühlen im Store. Mein Apell: Sie als Hochzeits-Spezialist wissen alles über Etikette-Fragen oder wie man zum Beispiel eine Rede vorbereitet. Es geht nicht mehr nur um den Verkauf eines Kleides. Werden Sie zum Problemlöser und gehen Sie weit über den reinen Verkauf eines Brautkleides hinaus!“

Und außerdem möchte die Gen Z ständig überrascht werden!

„Ja, auch das ist eine Herausforderung für den Handel. Neben der moralischen Unterstützung und einem perfekten Netzwerk, dass genau zum Umfeld und Taste des Brautpaares passen sollte, möchte das Brautpaar überrascht werden. Und das nicht nur durch exklusive Stoffe oder umwerfende Schnitte. Sie möchten echte Freude erleben und unterhalten werden. Werden Sie kreativ!“

Wie kann man die Beziehung zur Kundin aufbauen?

„Als Brautmoden-Stylistin sollten Sie wie ein Personal Stylist agieren, übrigens eine echte Boom-Branche. Vermitteln Sie Selbstvertrauen. Mein Tipp: Seien Sie am Morgen der Hochzeit für die Braut da und unterstützen sie beim Ankleiden. Das ist vielleicht nicht nötig, aber es schafft ein persönliches Bonding!“

Ist das nicht sehr aufwändig?

„Ja, aber wir erleben derzeit in der Hochzeitsindustrie einen sehr dichten Markt mit intensivem Wettbewerb. Da kann man sich nur unterscheiden, in dem man anders agiert als die anderen. Schaffen Sie neue Dekoelemente – beispielsweise märchenhafte Inszenierungen, Produktionen mit Künstlicher Intelligent oder Virtual Reality. Jedes Fachgeschäft sollte sich die Frage stellen: Wie projizieren wir uns? Was wollen wir ausdrücken? Sehr viele Shops präsentieren schöne Kleider, aber haben keine Personality! Das Positive: Für mehr Persönlichkeit benötigen Sie kein großes Lager. Der Brautkleidkauf ist keine Transaktion mehr, sondern ein emotionales Erlebnis. Inszenieren Sie zum Beispiel das Kennenlernen mit einer überraschenden Teatime. Lernen Sie die Wünsche und Bedürfnisse der Kundin kennen, bevor Sie überhaupt das erste Produkt zeigen. Die Braut ist unsicher, sie benötigt Ruhe und Vertrauen.“

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der Zukunft?

„Nachhaltigkeitsfaktoren sind unvermeidbar. Erstens, wie ich bereits erwähnt habe, ist die neue Generation besorgt über den Klimawandel und die Umweltverschmutzung. Sie sind überzeugt, dass Mode eine große Rolle dabei gespielt hat. Daher suchen sie alle nach Vintage, bereits geliebter, recycelter oder weitergegebener Kleidung. Reparatur und Teilen sind weitere wichtige Faktoren. Enkelin Beatrice trug das Hochzeitskleid von Königin Elizabeth für ihre eigene Hochzeit. Die Ehefrau von Boris Johnson Carrie lieh ihr Kleid, als sie heiratete. Dann gibt es auch noch die EU-Gesetzgebung, die 2025 in Kraft treten soll und die die Marken für die Entsorgung von Textilabfällen verantwortlich machen wird. Ich denke, diese Regelung wird für die Textilindustrie äußerst wichtig. Schließlich werden jedes Jahr sechs Millionen Tonnen Textilien, die nicht verkauft werden konnten, verbrannt. Dieses Gesetz wird ein echter Game Changer.”

Was bedeutet Nachhaltigkeit für die Wedding-Industry?

„Marken wie Hermès oder Louis Vuitton nehmen den Gesetzentwurf sehr erst, denn die Marken werden verantwortlich gemacht! Einer jüngsten Untersuchung zufolge achten mehr als 70 % der DOB-Käuferinnen auf Nachhaltigkeit. Früher oder später wird sich das auch in der Brautmode durchsetzen. Also mein Tipp für die Zukunft: Geben Sie Bräuten Ideen, was sie nach der Hochzeit mit ihrem Kleid machen können. Bieten Sie Workshops an oder nehmen Sie die Kleidung zurück. Machen Sie deutlich, dass Ihnen Nachhaltigkeit wirklich am Herzen liegt. Damit setzen Sie sich ab!”

Werden demnächst Brautkleider ausschließlich online verkauft?

„Ein klares Nein! Bräute möchten auch zukünftig ihren Einkauf inszenieren und erleben. Aber natürlich muss der komplette Service digitalisiert werden. Auch Pre- und Aftersales gehören dazu! Wir werden in der Zukunft eine noch engere Verknüpfung von digitalen Services und Service auf der Fläche erleben.“

Portrait photo of David Shah

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